Zukunft Mittelstand

Zurück in die Zukunft. Ein Weckruf aus der Wirtschaft

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AdobeStock, frank peters

Was der Mittelstand für die ökonomische Zeitenwende bedeutet − und warum es dafür einer neuen Rechtsform bedarf

13. März 2024

Viel ist von sogenannten »Zeitenwenden« die Rede. Das Wort bezeichnet einen Wandel, in dem sich etwas auf eine Weise verändert, dass Vorher und Nachher in gewissem Sinne zu unterschiedlichen Wirklichkeiten gehörend wahrgenommen werden. Es geht bei »Zeitenwenden« also im Prinzip um die kommunikative Markierung einer Situation, in der sich etwas so stark ändert, dass Anpassungen von Wirklichkeit und Wahrnehmung notwendig erscheinen, die nicht mehr allein auf Basis bisheriger Gewohnheiten, Konventionen und Institutionen organisiert werden können. Darin liegt eine Konfrontation mit Unbestimmtheit, die nach bewussten Lösungssuchen und -angeboten auf individueller, sozialer und politischer Ebene verlangt. Es wundert nicht, wenn vor diesem Hintergrund besonders intensive, ja konfrontative öffentliche Diskussionen geführt werden, in denen unterschiedliche Akteure ihre Interessen zu vertreten, zu verteidigen und durchzusetzen suchen.

In einer solchen Situation ist es umso wichtiger, bei aller Einsicht in notwendige Veränderungen, einen klaren Blick auch darauf zu erhalten, was es zu bewahren gilt. Denn jegliche Veränderung zum Guten trägt in sich auch einen konservativen Kern. Eine Anerkennung der bisherigen historischen Erfahrungen und Entwicklungslinien. Andernfalls droht die Veränderung bei aller Offenheit in Orientierungslosigkeit zu kippen. Gesellschaftlich droht dann, das hat die Geschichte zu genüge gezeigt, der kompensatorische Drang nach Komplexitätsreduktion und einfachen Lösungen, die allzu leicht in autoritäre Denkmuster übergehen. Ein Drang, der am Ende nicht zum Erfolg führen wird. Denn die komplexe und unbestimmte Wirklichkeit lässt sich nicht aus der Welt schaffen. Man kann nur vor ihr die Augen verschließen, mit unabsehbaren Folgen.

Was aber hat das mit dem Mittelstand zu tun? Um die Antwort vorwegzunehmen: Die Rolle des dezentralen Mittelstands ist bei der Bewältigung ökonomischer Herausforderungen, die die diversen Zeitenwenden mit sich bringen, nicht zu unterschätzen. Denn er ist ein, wenn nicht der entscheidende Träger von Wettbewerb, und damit jener gesellschaftlichen Dynamik, die strukturell der Weiterentwicklung (Innovation) und Anpassung (Adaption) in einem freiheitlichen Sinne dient. Dies ist eine der wichtigsten Einsichten des Ökonomen und Sozialphilosophen Friedrich A. von Hayek. Die menschliche Vorstellung eines hinreichenden Herrschaftswissens, um Gesellschaften langfristig im bestmöglichen Sinne der in ihnen lebenden Individuen zentral zu planen und zu gestalten, ist dagegen zum Scheitern verurteilt. Eben weil die Wirklichkeit zu komplex ist, und es eine »Anmaßung von Wissen« (Hayek) bedeuten würde, anderes zu behaupten.

Was bleibt, ist der politische Anspruch, den Regelrahmen zu setzen, innerhalb dessen möglichst viele private Akteure möglichst kreativ und im Wettbewerb miteinander um die besten Lösungen und Angebote ringen und diese entdecken. Dies bezieht nicht nur, aber gerade auch Unternehmen mit ein. In ihnen organisiert sich vor allem die dezentrale wettbewerbliche Suche nach passenden, innovativen Produkten und Dienstleistungen, auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene.

Der dezentrale Mittelstand mit seinen unabhängigen, im Vergleich zu Konzernen kleineren und flexibleren Entscheidungs- und Organisationseinheiten bildet dabei so etwas wie das ökonomische Innovationslabor, das stets den Stachel in größere etablierte Strukturen setzen und auf diesen aufbauenden Vermachtungstendenzen und Ineffizienzen entgegenwirken kann. Er ist besonders dazu veranlagt, um zu überleben oftmals darauf angewiesen, innovative Wege zu suchen und zu erproben, in Konkurrenz und Kooperation mit anderen. Ordnungspolitisch liegt darin der fundamentale Wert der unternehmerischen Unabhängigkeit und des damit verbundenen unternehmerischen Gestaltungsfreiraums. Diese Unabhängigkeit ist Grundbedingung des Wettbewerbs. Das gilt als grundlegende Einsicht nicht erst seit Walter Eucken, sondern war bereits für das Denken Adam Smiths entscheidend.

Unternehmerisch und ordnungspolitisch stellt sich jedoch die Frage, wie es um diese Unabhängigkeit und damit den Erhalt von Wettbewerb im Übergang der Generationen bestellt ist. Unternehmen sind Organisationen, deren Unabhängigkeit einen unternehmerischen und gesellschaftlichen Wert bedeutet. Dessen Erhalt über einzelne natürliche Personen hinaus muss rechtlich gewährleistet werden können. Und diesbezüglich sieht es in merkwürdiger Diskrepanz zu seiner gesellschaftlichen Bedeutung gerade im Mittelstand alles andere als gut aus. Denn zumindest von einer der mannigfaltigen Zeitenwenden ist er selbst in besonderem Maße betroffen: dem demografischen Wandel. Die mit diesem verbundene, immer stärker werdende Individualisierung der Lebensläufe hat dazu geführt, dass das Modell »Familienunternehmen«, in dem traditionell Kontinuität und Unabhängigkeit intergenerational ermöglicht werden, genau das in der Mehrzahl der relevanten Nachfolgen nicht mehr leisten kann – laut Zahlen der KfW wird eine Weitergabe innerhalb der Familie in weniger als fünfzig Prozent, laut Zahlen der DIHK sogar in weniger als vierzig Prozent der Fälle beabsichtigt, die tatsächlichen Umsetzungen liegen noch einmal niedriger. Hunderttausende Unternehmen, deren Nachfolge in den nächsten Jahren ansteht, sind betroffen – und mit ihnen Millionen von Arbeits- und Ausbildungsplätzen. Was bleibt, ist dann der Verkauf. Aber selbst Verkäufe in Höhe des Substanzwertes scheitern häufig an der Finanzierung, unter anderem weil vorhandene familienexterne Interessenten nicht ausreichend eigenes Kapital mitbringen oder die Margen in manchen hochkompetitiven Branchen so gering sind, dass ein über viele Jahrzehnte erwirtschafteter Substanzwert bei einem Verkauf nicht refinanziert werden kann. Und genau hier liegt eine der großen Stärken des Modells der Familienunternehmen. Sie werden ohne Verkauf und entsprechende Refinanzierung an die nächste Generation weitergegeben. Steht eine familiäre Kontinuität nicht zur Option und scheitert der Verkauf, verbleibt in der Regel die Schließung.

Die einzig denkbare weitere Option, schon über Jahrzehnte mit großem Erfolg erprobt, ist eine familienexterne, sozusagen treuhändische Weitergabe des Unternehmens, also ohne es zu verkaufen oder zu vererben. Dieses Modell funktioniert bis dato lediglich über Stiftungskonstrukte – Vorreiter wie Bosch oder Zeiss machen es vor. Doch diese Lösung ist grundsätzlich nur wenigen vorbehalten und nur für Unternehmen ab einer Größe von dreihundert Mitarbeitenden tragbar – und damit für weniger als fünf Prozent der Unternehmen in Deutschland. Aus diesem Grund braucht es für den Mittelstand dringend eine neue Rechtsform, die unternehmerisch passend und einfach ermöglicht, was bisher nur mit Hilfe von Stiftungen aufwendig hergestellt werden kann: dass im Sinne einer generationenübergreifenden Vermögensbindung Gewinne und Vermögen primär der langfristigen Entwicklung des Unternehmens dienen können, auch unabhängig von Familie. Die in Rede stehende Vermögensbindung bedeutet im Kern nichts anderes als die generationenübergreifend verbindliche Entscheidung für eine möglichst starke Eigenfinanzierung und damit eine Stärkung der unternehmerischen Unabhängigkeit und Gestaltungsfreiheit. Sie erweitert die Optionen der Nachfolgeregelung gerade für den Mittelstand und stärkt damit einen möglichst dezentralen Wettbewerb. Und damit genau jene strukturelle Dynamik, auf die wir nicht verzichten können, wenn uns an einer möglichst guten Bewältigung der Zeitenwenden gelegen ist. In diesem Sinne gilt es für die Politik umso mehr, den Mittelstand nicht nur wörtlich zu würdigen, sondern Taten folgen zu lassen. Es ist Zeit für die neue Rechtsform, eine Innovation, die aus dem Mittelstand selbst hervorgegangen ist. Sie böte eine einfache und wichtige Option, Unternehmen nachhaltig in die Zukunft zu führen und die Soziale Marktwirtschaft langfristig zu stärken.

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13. März 2024
13. März 2024
Armin Steuernagel
Geschäftsführer, Stiftung Verantwortungseigentum e. V.

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