Im Alltag von Unternehmen spielen selbstständige Wissensarbeiterinnen und Wissensarbeiter eine wichtige Rolle. So nutzte sie laut einer aktuellen Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln)55IW-Studie »Einsatz von Solo-Selbständigen und Angehörigen von Fremdfirmen«, April 2023. im Jahr 2021 gut jedes fünfte Unternehmen, in stark technologieabhängigen Branchen werden es noch weitaus mehr sein. Denn für den Einsatz von selbst- ständigen Expertinnen und Experten spricht einiges: Sie sind nicht nur schnell und flexibel einsetzbar, sondern verfügen zudem über spezifisches Know-how, das in den Unternehmen oft nicht vorhanden ist. Über die externen Wissensarbeiterinnen und Wissensarbeiter holen sie sich dieses Wissen zeitlich begrenzt für innovative Projekte ins Haus. Gekoppelt mit dem berühmten Blick von außen: Externe Selbstständige sind – im Vergleich zu den internen Kolleginnen und Kollegen − nicht »betriebsblind«. Sie denken und handeln jenseits der etablierten Strukturen eines Unternehmens – häufig ein sehr entscheidender Faktor bei der Projektentwicklung.
Aus diesen Gründen spielen selbstständige Expertinnen und Experten gerade in innovativen IT-Themen und der Digitalisierung einen relevanten
Part bei ihren Kunden, wie die IW-Studie aufzeigt. Auf diesen Feldern initiieren sie Transformationsprozesse und führen digitale Grenztechnologien ein. In bereits etablierten operativen Bereichen sind die selbstständigen Wissensarbeiterinnen und Wissensarbeiter dagegen weniger involviert.
Auch volkswirtschaftlich schlägt sich der Einfluss soloselbstständiger Wissensarbeiterinnen und Wissensarbeiter positiv nieder, wie eine Analyse des ifo Instituts56»Wie könnte das Potenzial solo-selbständiger Wissensarbeit besser genutzt werden?«, in: ifo Schnelldienst 2022, 75, Nr. 11. aufzeigt. Die flexible Bereitstellung von Humankapital durch wissensintensive Selbstständige ermögliche Wachstumsimpulse. Für die Wirtschaft ist es daher umso besser, je höher der Anteil von Selbstständigen in wissensintensiven Branchen steigt.
Um ihre Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, sind da- her gerade für mittelständische Unternehmen – welche es sich kaum leisten können, das gesamte spezialisierte Know-how im Unternehmen vorzuhalten – hochqualifizierte Soloselbstständige wichtig. Sie helfen ihnen dabei, neue Themen produktiv anzugehen und gleichzeitig bei ihrem Personal flexibel und agil zu handeln.
Es sprich also volks- und betriebswirtschaftlich alles dafür, dass die Zahl der Soloselbstständigen konstant ansteigen müsste. Doch zeigen die Zahlen des statistischen Bundesamtes ein anderes Bild: Lag ihr Anteil bei allen Erwerbstätigen in Deutschland im Jahr 2012 noch bei 5,9 Prozent, ist er seither kontinuierlich gesunken. Im letzten Jahr waren es nur noch 3,8 Prozent.57Destatis: Anteil der Solo-Selbstständigen (15 bis 64 Jahre) an allen Erwerbstätigen (15 bis 64 Jahren) 2022. URL: https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-4/solo-selbstaendige.html.
Woran liegt es, dass in Deutschland – trotz des hohen Bedürfnisses vieler Erwerbstätiger nach flexibler und selbstbestimmter Arbeit – die Zahl der Soloselbstständigen seit Jahren rückläufig ist? Klar ist es aufgrund des Fachkräftemangels für Wissensarbeiterinnen und Wissensarbeiter derzeit lukrativ, fest angestellt zu arbeiten. Unternehmen zahlen mehr denn je attraktive Gehälter. Aber das ist nur ein Teil der Wirklichkeit.
Es gibt noch andere wichtige Gründe, wie die ifo-Studie ermittelt hat: Dazu zählt beispielsweise, dass in Deutschland – gerade im Vergleich zu anderen OECD-Ländern – bestehende restriktive Umfeld für Selbstständigkeit. Dies betrifft administrative Barrieren bei der Unternehmensgründung genauso wie eine viel zu aufwendige Bürokratie sowie die rechtlichen Unsicherheiten im Hinblick auf den Status »Selbstständig« und dessen Abgrenzung zu Arbeitnehmern bzw. abhängig Beschäftigten. Diese Abgrenzungsthema wird unter dem Begriff Scheinselbstständigkeit diskutiert.
Scheinselbstständigkeit bezeichnet eine Situation, in der Erwerbstätige und deren Auftraggeber von selbstständiger Tätigkeit ausgehen, Behörden und/oder Gericht die Selbstständigkeit dann aber nicht anerkennen, sondern sie als Festanstellung bzw. abhängige Beschäftigung einstufen. Bei der Entscheidung über den Status (selbstständig oder abhängig beschäftigt) beurteilen Gerichte und/oder Behörden anhand einer Vielzahl von Kriterien, ob Erwerbstätige dem Typus »selbstständig« oder dem Typus »abhängig beschäftigt/ Arbeitnehmer« zuzuordnen sind.
In den vergangenen Jahrzehnten sind die Grenzen zwischen Arbeitnehmern und Selbstständigen immer stärker verwischt. Dies erschwert die Statusfeststellung und führt zu einer Grauzone – es ist nicht immer eindeutig erkennbar, ob jemand selbstständig ist oder Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer. Die Entscheidungen von Behörden und Gerichten sind dadurch in Teilen schwer vorhersehbar. Zudem gibt es hier einen Entscheidungsspiel- raum, den Gerichte unterschiedlich nutzen. Stark betroffen hiervon ist die selbstständige Wissensarbeit, besonders im IT- und Digitalisierungsumfeld und bei innovativen und agilen Projekten.
Dies führt dazu, dass selbstständige Wissensarbeiterinnen und Wissensarbeiter hinsichtlich ihres Status in vielen Konstellationen in einem unsicheren Umfeld agieren. Teilweise entsteht der Eindruck, dass Selbstständigkeit nicht gewünscht und nicht gewollt ist und von Behörden und einigen Gerichten wenn möglich verneint wird. Das ist alles andere als wertschätzend. Was sind Auswege aus diesen Zwickmühlen? Es würde in jedem Fall helfen, wenn der Gesetzgeber die Steuer- und Sozialversicherungssysteme für abhängig Beschäftigte und für Selbstständige stärker angleicht. Dann würden sie nicht mehr unterschiedlich behandelt. Einige OECD-Länder gehen diesen Weg. Genauso stünde eine umfassende Reform des Statusfeststellungsverfahrens an: Sie sollte das Verfahren im Vergleich zum aktuellen Stand verlässlicher, transparenter und schneller gestalten. Der heutige
Stand spiegelt nicht die moderne Arbeitswelt der Gegenwart wider.
Ein letzter Punkt: Der Gesetzgeber sollte Soloselbstständige nicht über einen Kamm scheren. Es gilt vielmehr, sie differenziert zu betrachten. So sind Hochqualifizierte bewusst selbstständig geworden, um flexibler arbeiten zu können und unternehmerische Freiheit auszuüben. Sie wollen keineswegs wieder Festangestellte werden, auch nicht über den Umweg des Status als
(Schein)-Selbstständige. Auf der anderen Seite gibt es Soloselbstständige, die aufgrund ihrer Tätigkeitsfelder schlecht verdienen. Diese sollte der Gesetzgeber in der Tat besser schützen, beispielsweise über eine Altersabsicherung. Um zu differenzieren, bieten sich hier die Honorarhöhe und der Nachweis einer eigenen, adäquaten Altersvorsorge an. Ob nichtsdestotrotz jede und jeder Soloselbstständige einen Grundbetrag in die Rentenversicherung einzahlen soll, darüber ließe sich offen diskutieren.
Ein für Selbstständige freundlicheres regulatorisches Umfeld, in dem sie und ihre Arbeit wertgeschätzt werden, würde selbstständige Wissensarbeit ansteigen lassen. Wie oben aufgezeigt, bedeutet ein Mehr an selbstständigen Wissensarbeiterinnen und Wissensarbeiter mehr Wachstum und Innovation. Gerade für mittelständische Unternehmen sind sie daher wichtig. Einen guten Rahmen für selbstständige Wissensarbeiterinnen und Wissensarbeiter zu setzen, der ihnen die notwendigen Freiräume ermöglicht und sie nicht rechtlich verunsichert, ist Aufgabe der Politik. Dabei sollte sie sich nicht von dem alten Argument treiben lassen, der Einsatz von Soloselbstständigen gehe zu Lasten der Festangestellten. Diesbezüglich stellt die IW- Studie fest, dass es keinen Hinweis darauf gibt, dass freie Mitarbeiter oder Soloselbststständige Angehörige der Kernbelegschaften ersetzen.58IW-Studie »Einsatz von Solo-Selbständigen und Angehörigen von Fremdfirmen«, April 2023. Beide Erwerbsformen ergänzen sich gegenseitig – ja, selbstständige Expertinnen und Experten sichern sogar die Jobs der Festangestellten, indem sie deren Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber fit für die digitale Zukunft und den globalen Wettbewerb machen. Moderne Arbeit findet in neuen Formen statt, nicht in alten Mustern. Das sollte der Staat fördern, denn Erwerbsdiversität ist ein Erfolgsfaktor für den Wirtschaftsstandort Deutschland.