Zukunft Mittelstand

Zurück in die Zukunft. Ein Weckruf aus der Wirtschaft

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AdobeStock, frank peters

Statt lebenslangen Lernens: Für ein Konzept durchgängiger Berufsbildung

14. März 2024

Deutschland kann stolz auf sein erfolgreiches Bildungssystem, renommierte Hochschulen und das effektive duale Ausbildungssystem sein. Diese Errungenschaften haben dazu beigetragen, talentierte und optimal ausgebildete Arbeitskräfte hervorzubringen und sind von wesentlicher Bedeutung für die anhaltende Widerstandsfähigkeit und den Erfolg der deutschen Wirtschaft. Allerdings belegen internationale Rankings, dass andere Nationen im globalen Bildungswettbewerb aufholen und Deutschland zunehmend bestrebt sein sollte, seine Spitzenposition durch kontinuierliche Innovation und Anpassung zu festigen.

Die allgemeine Bildungspolitik hat in den vergangenen Jahrzehnten enorme Anstrengungen unternommen, um auf gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen zu reagieren. Die Fortentwicklung der beruflichen Weiterbildung stand jedoch nicht im Fokus öffentlichen Interesses und wurde den individuellen Fähigkeiten, Neigungen und Motivationen des Einzelnen und dem privaten Anbietermarkt mit seinen unterschiedlichen regionalen und betrieblichen Gegebenheiten überlassen. Dadurch entstand ein separiertes und unübersichtliches Gebilde, das sich auf wirtschaftlich erfolgreiche Regionen und bildungsaffine Leistungsträger konzentriert.

Weiterbildung muss als vierte Säule des Bildungssystems anerkannt und etabliert werden

Um den Anforderungen einer sich stetig verändernden Arbeitswelt gerecht zu werden, bedarf es einer konstanten und kohärenten beruflichen Weiterentwicklung und Anpassung essenzieller Kompetenzen. Hierfür ist ein deutlicher Anstieg der Inanspruchnahme von Maßnahmen beruflicher Weiterbildung unerlässlich.

Dazu sollte die fragmentierte Weiterbildungslandschaft zu einem kohärenten System allgemeiner und beruflicher Weiterbildung ausgebaut werden. Der Wesenskern dieses Systems sollte darin bestehen, sicherzustellen, dass ein breiteres Spektrum von Menschen Zugang zu Weiterbildungsmöglichkeiten hat, und fortwährend strukturiertes Lernen zum selbstverständlichen Bestandteil jeder Berufsbiografie zu machen. Der damit erweiterte Fokus durchgängiger Berufsbildung läge darauf, kontinuierliches Lernen und Wachstum während der gesamten beruflichen Laufbahn zu unterstützen. Um dies zu erreichen, muss der öffentliche Bildungsauftrag erweitert werden, indem er sich nicht mehr ausschließlich auf die Erstausbildung beschränkt, sondern sich auf die gesamte Erwerbsbiografie erstreckt. Weiterbildung muss als gesamtgesellschaftliche Aufgabe akzeptiert werden, die Teil öffentlicher Verantwortung ist.

Berufliche Bildung ist das wesentliche Element der Weiterbildung

Während die allgemeine Weiterbildung breite Kenntnisse vermittelt, die Persönlichkeitsentwicklung fördert und gesellschaftlich relevante Aspekte behandelt, fokussiert sich die berufliche Bildung gezielt auf praxisrelevante Fähigkeiten und spezifische Fachkompetenzen. Sie ist darauf ausgerichtet, Menschen für die Fortschreibung und die Anpassung ihrer beruflichen Laufbahn zu qualifizieren, und trägt somit entscheidend zur Anpassungsfähigkeit und Produktivität in einer sich wandelnden Arbeitswelt bei. Die Kombination von allgemeiner und beruflicher Weiterbildung schafft eine umfassende Lerngrundlage, die den individuellen beruflichen Erfolg fördert und zugleich die sich wandelnden Anforderungen des modernen Arbeitsmarkts erfüllt. Es sollte jedoch beachtet werden, dass trotz der großen Überschneidungen zwischen beiden Bereichen die berufliche Komponente der Motor und Kern in der Entwicklung bleiben muss, um eine wettbewerbsfähige Volkswirtschaft zu erhalten. Sicher kann die allgemeine Persönlichkeitsbildung Kreativität und Kollaborationsfähigkeit fördern, doch zunächst muss das eigentliche Handwerk erlernt und beherrscht werden. Vor allem in Transformationsprozessen stellt sich die Frage, welches Grundhandwerk, welche beruflichen Grundqualifikationen in Zukunft benötigt werden. Insbesondere bei Menschen in Tätigkeiten und Branchen mit hohem Substitutionsrisiko fehlt es oft an der nötigen Motivation und dem Wissen über zukünftige Qualifikationsbedarfe. Deshalb muss diese Frage im öffentlichen Interesse koordiniert werden.

Eine Neuordnung der Weiterbildungsstrukturen ist dringend notwendig

Derzeit gibt es sowohl signifikante regionale Unterschiede in der Weiterbildungsbeteiligung als auch deutliche Unterschiede im Angebotsumfang. Darüber hinaus besteht nach wie vor eine beträchtliche Diskrepanz zwischen verschiedenen Qualifikationsgruppen. Geringqualifizierte nehmen deutlich seltener Weiterbildung in Anspruch, obwohl sie sie am dringendsten benötigen.

Um sicherzustellen, dass der Zugang zu Weiterbildungsangeboten unabhängig von Wohnort, Bildungsstand oder Beschäftigtenstatus gewährleistet ist, sind Strukturen notwendig, die Bedarfe ermitteln, Lücken aufdecken, Kooperationen fördern und somit ein bedarfsgerechtes und transparentes Angebot sicherstellen. Eine gleichberechtigte Stellung der Weiterbildung innerhalb des Bildungssystems erfordert eine hochwertige und flächendeckende Infrastruktur. Hierbei können bestehende Institutionen der Erstausbildung, wie Berufsschulen, überbetriebliche Berufsbildungsstätten, Fachschulen und Hochschulen, eine maßgebliche Rolle übernehmen, indem sie Lücken im Angebot schließen und digitale Bildungsformate fördern. Dabei spielen insbesondere die privaten Träger beruflicher Bildung eine wichtige Rolle. Durch ihre Verzahnung mit Mittelstand und Industrie sind sie in der Lage, Bedarfe frühzeitig zu erkennen und Konzepte zu deren Deckung zu entwickeln.

Die Trennung von Erstausbildung und beruflicher Weiterbildung aufheben

Eine stärkere Einbeziehung der Erstausbildungsinstitutionen könnte dazu beitragen, die starr wirkende Trennung zwischen Aus- und Weiterbildung zu überwinden. Das deutsche System der Erstausbildung geht traditionell davon aus, dass Menschen in ihrem erlernten Beruf verbleiben und alle notwendigen Strukturveränderungen auf der Grundlage dieser Erstausbildung bewältigen können. Diese Annahme ist jedoch zunehmend nicht mehr zeitgemäß.

Berufliche Bildung ist mit dem Abschluss der Erstausbildung nicht beendet. Der Bildungsvorrat der Erstausbildung reicht nicht mehr für ein gesamtes Berufsleben mit all seinen technologischen und prozessualen Veränderungen, ganz zu schweigen von individuellen Brüchen und Sprüngen. Doch auch das Credo, dass der Einstieg ins Berufsleben erst nach Absolvierung einer beruflichen Erstausbildung möglich ist, bedarf einer Revision. Nicht alle Menschen sind in der Lage, eine Erstausbildung zu absolvieren. Gerade sie werden, wenn Weiterbildung als weitere Bildung nach der Erstausbildung konzipiert wird, grundlegend benachteiligt. Dies ist nicht nur in individueller Perspektive untragbar, sondern vor dem Hintergrund des enormen Bedarfs an Fachkräften eine inakzeptable Potenzialverschwendung.

Durchlässigkeit und Barrierefreiheit sind auch hier die berechtigten Forderungen der Zeit. Deshalb müssen wir eine dynamische und anpassungsfähige Bildungslaufbahn entwickeln, die ein Kontinuum zwischen Erstausbildung und Weiterbildung schafft und somit den individuellen beruflichen Entwicklungen besser gerecht wird.

Bildung ist ein kontinuierlicher Prozess

Wenn das Bildungssystem nicht dem Fehler verfällt, von jedem schon zu Beginn alles zu fordern, sondern zulässt, dass Inhalte und Kompetenzen Stück für Stück – eben im Laufe des Erwerbslebens – erarbeitet werden, schwindet für die Weiterbildung auch der Nimbus des »Zusätzlichen« und damit des für das »normale« Erwerbsleben »Entbehrlichen«. Der Marathon kennt Phasen unterschiedlicher Belastung, aber er vermeidet zu starke Erschöpfung zu Beginn, gerade weil er um die Notwendigkeit des langen Atems weiß.

Die Bedenken der Vertreter der vollständig abgeschlossenen Erstausbildung gegenüber der modularen beruflichen (Weiter-)Bildung resultieren aus der Tatsache, dass berufliche Weiterbildung zu oft nicht zu zertifizierten und allgemeingültig anerkannten Abschlüssen führt, die für den beruflichen Werdegang und die eigene einkommensrelevante Verwertung notwendig sind. Daher empfehlen sie, zunächst einen beruflichen Abschluss zu erwerben, bevor man sich auf den entsprechenden Weg begibt.

Um diese Logik ändern zu können, sollten Weiterbildungen transparent zertifiziert werden und entsprechende Kompetenznachweise einkommenssteigernd wirksam gemacht werden. Künftige Arbeits- und Tarifverträge dürfen dann hinsichtlich der Eingruppierung nicht nur auf die formalen Erstausbildungsabschlüsse verweisen, sondern müssen lernen, mit modularen wie informalen Kompetenzen umzugehen.

Fazit

Bildung muss weitergedacht werden: als kontinuierliche Weiterbildung und auch weiterhin als im Kern berufliche Bildung. Wir brauchen ein Konzept der Einbettung von allgemeiner und beruflicher Bildung in unsere Berufslaufbahnen. Hier ist auch eine begriffliche Neufassung notwendig. Während »lebenslanges Lernen« einerseits die Assoziation eines Gefängnisaufenthalts herstellt und andererseits mit einen nicht profitablen Lernbegriff operiert, könnte »durchgängige Berufsbildung» als ein Bildungskonzept verstanden werden, das eine nahtlose und kohärente Entwicklung von beruflichen Fähigkeiten und Kenntnissen über verschiedene Stufen und Phasen hinweg fördert und damit individuellen wirtschaftlichen Aufstieg ermöglicht. Hier wären Bildungsangebote und -möglichkeiten so gestaltet, dass sie einen klaren und effektiven Pfad für die berufliche Entwicklung bieten, beginnend bei grundlegenden Qualifikationen bis hin zu fortgeschrittenen Fachkenntnissen.

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