Zukunft Mittelstand

Zurück in die Zukunft. Ein Weckruf aus der Wirtschaft

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AdobeStock, frank peters

Arbeitszeiterfassung nicht überbürokratisieren

14. März 2024

Die Rekrutierung geeigneter Arbeitskräfte stellt mittelständische Unternehmen derzeit vor große Herausforderungen. Neben dem vieldiskutierten Fachkräftemangel betrifft dies jedoch auch die Besetzung von Stellen, für die keine gesonderte Qualifikation erforderlich ist. Der Fachkräftemangel, aber auch ein allgemeiner »Arbeitskräftemangel« führen in vielen Branchen dazu, dass wichtige Projekte nicht angegangen, Aufträge nicht angenommen und erforderliche Arbeiten gar nicht oder nur verzögert umgesetzt werden können. Dies ist schädlich für das wirtschaftliche Wachstum und die Mehrung des Wohlstandes am Standort Deutschland.

Vor diese Herausforderungen gestellt, ist es aus Sicht des Mittelstandes unerlässlich, dass jegliche arbeitsmarktbezogene Regulierung mit Umsicht und Augenmaß erfolgt. Um den Flaschenhals des um sich greifenden Personalmangels nicht weiter zu verengen, ist es vor allem notwendig, zusätzliche bürokratische Belastungen zu vermeiden und bestehende abzubauen. Der im April 2023 aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales bekannt gewordene Referentenentwurf zur geplanten Änderung des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) wird dieser Notwendigkeit aus Sicht des Bundesverbandes kostenloser Wochenzeitungen (BVDA) bisher nicht gerecht. Der Entwurf sieht eine taggleiche elektronische Aufzeichnung von Beginn, Ende und Dauer der Arbeitstätigkeit vor und geht damit über die Anforderungen hinaus, über die der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 14. Mai 2019 und das Bundesarbeitsgerichts (BAG) am 13. September 2022 geurteilt haben. Unter den zuvor skizzierten Bedingungen sollten Arbeitnehmende und Arbeitgebende in Bezug auf die Arbeitszeiterfassung jedoch vielmehr vor ungerechtfertigt hohen, bürokratischen Belastungen geschützt werden. Dies trifft insbesondere für Arbeitsbereiche zu, in denen bereits andere hinreichende Verfahren zur Dokumentation der Arbeitszeit etabliert und/oder in denen ursprünglich keine Verwendung elektronischer Geräte zur Datenaufzeichnung und -übertragung vorgesehen sind. Einen solchen Bereich stellt die Zustellung von kostenlosen Wochenzeitungen dar, der in diesem Beitrag exemplarisch angeführt werden soll.

Kostenlose Wochenzeitungen gehören als Presseprodukte der kritischen Infrastruktur an. Sie tragen zu einer informierten Gesellschaft bei und haben somit eine demokratiefördernde Funktion. Rund 120.000 Zustellende bringen mindestens einmal wöchentlich kostenlose Wochenzeitungen in die Haushalte. Diese mobilen Beschäftigten, die meist im Nebenerwerb tätig sind, sichern somit die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit lokaljournalistischen Informationen aus dem Nahbereich.

Die im vorliegenden Referentenentwurf des BMAS enthaltenen Anforderungen an eine taggleiche, elektronische Erfassung der Arbeitszeit sind im Bereich der Anzeigenblattzustellung jedoch nur schwer oder gar nicht umsetzbar. Derzeit sind Arbeitgebende gemäß § 17 Abs. 1 MiLoG bei geringfügig Beschäftigten verpflichtet, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit spätestens binnen sieben Tagen nach dem Tag der Arbeitsleistung aufzuzeichnen und die Aufzeichnungen mindestens zwei Jahre aufzubewahren.

Gemäß § 1 Abs. 1 der Mindestlohnaufzeichnungsverordnung (MiLoAufzV) ist die Aufzeichnung lediglich der Dauer der Arbeitszeit ausreichend, wenn die Arbeitnehmenden mit mobilen Tätigkeiten beschäftigt sind, keinen Vorgaben zur konkreten täglichen Arbeitszeit (Beginn und Ende) unterliegen und die tägliche Arbeitszeit eigenverantwortlich einteilen. Diese Voraussetzungen sind bei Anzeigenblattzustellenden regelmäßig erfüllt.

In der Begründung zur MiLoAufzV wurde ausgeführt, dass der Arbeitgebende die Aufzeichnung der Dauer der Arbeitszeit auf seine Arbeitnehmenden delegieren kann und dass Grundlage der Arbeitszeitaufzeichnung auch eine durch den Arbeitgebenden ermittelte Soll-Arbeitszeit sein kann, die bei Abweichungen durch die Arbeitnehmenden zu korrigieren ist.

Auf dieser Basis haben viele Zustellorganisationen ein Soll-Arbeitszeit-Modell etabliert, das in der Regel wie folgt funktioniert:

  • Der Arbeitgebende teilt den Zustellenden für ihre jeweiligen Zustellbezirke individuelle Soll-Arbeitszeiten (genauer: Soll-Arbeitszeitdauer)
  • Die Zustellenden werden angewiesen, bei Abweichungen von der Soll-Arbeitszeit innerhalb einer bestimmten Frist (maximal 7 Tage) eine Korrekturmeldung an den Arbeitgeber zu machen.
  • Der Arbeitgebende dokumentiert die Soll-Arbeitszeiten und etwaige Korrekturmeldungen der Zustellenden.
  • Beginn und Ende der Arbeitszeit (= Lage der Arbeitszeit) werden nicht

Die MiLoAufzV hat sich als praxistauglich für die besonderen Arbeitserfordernisse bei der Zustellung von Presseprodukten erwiesen. Der Bürokratieaufwand konnte im Verhältnis zur relativ geringen wöchentlichen Arbeitszeit der mobil arbeitenden Zustellenden sowohl auf Seiten der Arbeitnehmenden als auch auf Arbeitgebendenseite begrenzt werden. Gleichzeitig wird eine hinreichende Dokumentation der Arbeitszeiten gewährleistet.

Da das Arbeitszeitgesetz als höherrangig gegenüber der MiLoAufzV zu werten ist, wäre ein Soll-Arbeitszeit-Modell in der oben beschriebenen Form gemäß dem aktuellen Referentenentwurf nicht mehr möglich. Erschwerend kommt hinzu, dass das Zustellpersonal in der Regel nicht mit elektronischen Arbeitsgeräten ausgestattet ist, die eine taggleiche Erfassung von Arbeitsbeginn, -dauer und -ende ermöglichen würden.

Auch im Bereich der Zustellung kostenloser Presseprodukte herrscht akuter Personalmangel. Eine Bürokratisierung im Rahmen einer täglichen Pflicht zur Zeiterfassung würde dieses Problem zusätzlich verschärfen, da die Attraktivität des Nebenerwerbs sinken würde. Dies hat sich auch bereits in der Praxis gezeigt. Entsprechende Modellprojekte zur genaueren Arbeitszeiterfassung (z. B. via »Zusteller-Apps«) waren gemäß verschiedener Rückmeldungen aus BVDA-Mitgliedsverlagen nicht erfolgreich. In diesen Fällen konnte nur ein geringer Anteil der Zustellenden dazu bewegt werden, Daten zu den eigenen Arbeitsabläufen zu erfassen. Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass die Anforderungen, die im Referentenentwurf zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes vorgesehen sind, zu hohem bürokratischen und finanziellen Aufwand auf Seiten der Verlage führen würden, sofern überhaupt noch ausreichend Zustellpersonal gefunden werden könnte.

Eine Bürokratisierung der Zeiterfassung in der Zeitungszustellung würde die flächendeckende Versorgung mit Presseprodukten in dramatischer Weise gefährden, da diese bereits heute in vielen Gebieten (vor allem im ländlichen Raum) wirtschaftlich kaum mehr abbildbar erscheint. Die Medienvielfalt der freien Presse wird durch den aktuellen Referentenentwurf zum ArbZG erheblich gefährdet, sofern die besonderen Anforderungen im Bereich der Zustellung darin keine Berücksichtigung finden. Der BVDA fordert daher, den Ausnahmetatbestand der MiLoAufzV für mobile Arbeit- nehmende in das Arbeitszeitgesetz aufzunehmen, der das etablierte Soll- Arbeitszeit-Modell in der Zeitungszustellung auch weiterhin zulässt.

Die Forderung nach einer praktikablen Gesetzgebung für die Zeiterfassung im Bereich der Zustellung kostenloser Wochenzeitungen steht hier exemplarisch für eine Vielzahl an Tätigkeiten, für die eine angemessene, kontextsensible Lösung im Austausch zwischen den betroffenen Unternehmen bzw. ihren Verbänden und der Politik gefunden werden muss.

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14. März 2024
Carina Brinkmann, BVDA | Bernd Brundert
Carina Brinkmann
Leiterin Nachhaltigkeit und Politik, Bundesverband kostenloser Wochenzeitungen e. V.

Carina Brinkmann

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