Die deutsche Wirtschaft durchläuft gegenwärtig eine bedeutende Zeitenwende, die insbesondere für den Mittelstand eine Vielzahl von Herausforderungen mit sich bringt. Dementsprechend ist eine umfassende und koordinierte Herangehensweise seitens der Politik gemeinsam mit der Privatwirtschaft unerlässlich. Vor allem als Querschnittsbranche ist es für die Veranstaltungswirtschaft essenziell, dass auf die besondere Situation der Beteiligten eingegangen wird, sodass realitätsnahe und effektive Lösungen konzipiert werden.
Die Veranstaltungswirtschaft Deutschlands ist nicht nur mit einem Kernumsatz von 81 Mrd. Euro und 1,1 Mio. Erwerbstätigen der sechstgrößte Wirtschaftszweig des Landes. Sie zeichnet sich auch durch ihre Struktur, bestehend aus über 240.000 Unternehmen, vorwiegend aus dem Klein- und Mittelstandssegment, aus und zählt somit zu den bedeutendsten Arbeitgebern der Bundesrepublik. Zählt man die indirekt von der Veranstaltungswirtschaft betroffenen Berufsgruppen (zum Beispiel Gastronomie und Tourismus) hinzu, sind insgesamt rund 2 Mio. Arbeitsplätze von der Branche abhängig. Damit ist die Veranstaltungswirtschaft eine Säule des Mittelstandes in Deutschland.
Ob Weltwirtschaftsgipfel, Olympische Spiele, Welt- und Europameisterschaften, G7- oder G20-Gipfel, Expos, Klimakonferenzen, Konzerte und Festivals: Viele dieser Veranstaltungen wurden von deutschen Agenturen, Konzertveranstaltern, Messe-, Technik- und Bühnenbaufirmen und Dienstleistern konzipiert, geplant, ausgestattet und durchgeführt. Deutschland zählt dadurch im globalen Vergleich zu den TOP-3-Destinationen. Laut der vom R.I.F.E.L. erstellten Meta-Studie »Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Veranstaltungsbranche« belebten vor Corona jährlich 424 Mio. Veranstaltungsbesucher:innen die Innenstädte, Hotels und somit auch den Tourismus.
Die fwd: Bundesvereinigung Veranstaltungswirtschaft sieht dringenden Handlungsbedarf in einer Vielzahl von Bereichen, um die bisherige Spitzenposition weiter zu erhalten, und bietet dazu konkrete Lösungsansätze. Diese können dazu beitragen, den Wirtschaftszweig zu stärken und ihn widerstandsfähiger für die Herausforderungen der Zukunft zu machen.
Im Bereich Nachhaltigkeit besteht dringender Handlungsbedarf, insbesondere angesichts des Klimawandels. Die Branche ist in der Lage und entschlossen, einen bedeutenden Beitrag zur Erreichung der Klimaziele zu leisten. Um dieser Herausforderung gerecht zu werden, ist es unerlässlich, dass die öffentliche Hand aktiv nachhaltige Veranstaltungsformate fördert. Zudem können durch die Befreiung von der Gewerbesteuer bei kurzfristiger Anmietung von Gütern und durch die Einführung qualitativer Kriterien bei der öffentlichen Beschaffung die Anreize bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitsbemühungen gesteigert werden. In diesem Kontext ist es wichtig, die Vorbildfunktion der öffentlichen Hand in Bezug auf Umweltschutz und Nachhaltigkeit hervorzuheben.
Der Handlungsdruck im Bereich Generationswechsel ist offensichtlich. Dies besonders angesichts der mangelnden Bereitschaft zur Übernahme von Unternehmen. Um diesem Problem zu begegnen, bieten gezielte Investitionshilfen ein Mittel, das den Nachfolgeantritt erleichtert. Andernfalls ist der Weiterbestand von etlichen Familienunternehmen, die den Staatshaushalt bisher wesentlich entlastetet haben, gefährdet.
Darüber hinaus sollten Investitionen in Transformationsprozesse durch gezielte Investitionshilfen gefördert werden, um nicht nur finanzielle Unterstützung zu bieten, sondern auch um Beihilfe für Transformationsbemühungen, Resilienz und Digitalisierung zu leisten. Ähnlich wie bei der Nachfolgeproblematik können somit diese als Instrument dienen, um Unternehmen zu ermutigen, notwendige Investitionen zu tätigen und finanzielle Belastbarkeit zu gewährleisten.
Um den Fach- und Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken, muss von allen Seiten mobilisiert werden. Diese Herausforderung ist ein zentrales Dilemma der aktuellen Arbeitsmarktpolitik. Anreize wie zum Beispiel die Verbesserung bestehender Weiterbildungsmöglichkeiten sowie die Ausweitung zukünftiger Angebote sind erforderlich. Die Anpassung von Weiterbildungsmaßnahmen an den saisonalen Charakter der Veranstaltungswirtschaft unterstützt den Ausbau bereits vorhandener Fähigkeiten der Arbeitnehmer. Auch die Möglichkeit von geförderten, kurzfristigen Weiterbildungsmaßnahmen u. a. zur Bewusstseinsbildung sowie die Unterstützung von Integrations- und Inklusionstransformation sollten als wichtige Instrumente für die Anpassung an soziale Veränderungen implementiert werden.
Die Berücksichtigung von demografischen Veränderungen in der Gesellschaft, wie eine alternde Bevölkerung und Arbeitskräftepotenzial von Frauen, ist eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Fach- und Arbeitskräftesicherung auf lange Sicht. Hier entsteht dringender Handlungsbedarf bezüglich der Arbeitszeitenregelung. Die Einführung von flexiblen Zeitmodellen, etwa durch die Umstellung auf eine maximale Wochenarbeitszeit anstelle der derzeit geltenden maximalen täglichen, kann die Arbeitswende im Mittelstand weiter vorantreiben. Darüber hinaus hat die Veranstaltungswirtschaft vielschichtige Bedürfnisse aufgrund ihrer diversen Tätigkeitsfelder, des saisonalen Charakters und der Problematik von schwer kalkulierbaren, externen Faktoren. Demgemäß ist es unabdingbar, dass das Arbeitszeitgesetz überarbeitet wird, um der konkreten Praxis sowie den gegenwärtigen Anforderungen gerecht zu werden.
Die Vereinfachung des Zugangs für ausländische Arbeitnehmer durch den Abbau von Bürokratie im In- und Ausland, die Absenkung der Mindestgehaltsschwelle und darüber hinaus auch die Erleichterung der Zulassung für ungelernte Arbeitskräfte sind weitere entscheidende Schritte zur Fach- und Arbeitskräftesicherung. Zum Beispiel sollten den Konsularabteilungen der Auslandsvertretungen ermöglicht werden, als erste Anlaufstelle für Immigrant:innen, zeitnahe und unbürokratische Abwicklungsprozesse zu implementieren. Um im Allgemeinen realitätsnahe Lösungen zu konzipieren, sollte eine aktive, barrierearme Beteiligung der verschiedenen Stakeholder bei der Entscheidungsfindung ermöglicht werden.
Im Handlungsbereich rechtssichere Beauftragung Selbstständiger ist eine verbesserte Rechtslage von entscheidender Bedeutung. Eine solche Maßnahme kann dazu beitragen, beispielsweise die Problematik der Schein selbstständigkeit zu reduzieren und somit die Komplexität der Unterscheidung zwischen selbstständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung zu vereinfachen. Unklarheiten für eine rechtskonformen Beauftragung stellen aktuell große Herausforderungen sowohl in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit als auch strafrechtliche Konsequenzen dar.
In Anbetracht der Komplexität von Querschnittsbranchen wie der Veranstaltungswirtschaft ist es von Bedeutung, politische Entscheidungsträger:innen verstärkt zu sensibilisieren. Regelmäßige öffentliche Anhörungen und Veranstaltungen, die als Plattform für den Austausch dienen, können das tiefere Verständnis für die Bedürfnisse der Branche schärfen. Auch würde ein von staatlicher Seite finanzierter und gemeinsam mit betroffenen Akteuren konzipierter jährlicher Wirtschaftsbericht sowie die Einrichtung eines regelmäßigen ressortübergreifenden Austauschs mit diesen Stakeholdern in Form eines Runden Tisches dazu beitragen, eine differenzierte und fundierte Grundlage für die politische Entscheidungsfindung zu schaffen.
Eine sichere Perspektive ist dringend notwendig, wobei hier langfristig ausgerichtete Maßnahmen von entscheidender Bedeutung sind. Diese sollten unabhängig von Regierungswechseln Bestand haben, um eine dauerhafte Positiventwicklung zu gewährleisten. Abschließend ist zu erwähnen, dass die Berücksichtigung aller Wirtschaftszweige bei der Ausarbeitung von politischen Maßnahmen von fundamentaler Bedeutung ist, um den deutschen Mittelstand in Zeiten globaler Krisen und geopolitischer Unsicherheiten prospektiv zu stärken.